Im Interview: Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E)

04.11.2025
Das Thema Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E) wird von Außenstehenden leicht verwechselt mit der Arbeit der Notfallseelsorge. Was die Betreuung angeht, sind die Feuerwehren im Landkreis Dillingen mit dem PSNV-E-Team bei Bedarf sehr gut versorgt.

In der Berichterstattung über einen tödlichen Verkehrsunfall im Bereich Bissingen, wurde der Bereich PSNV-E im Zeitungsbericht hervorgehoben. Neben der technischen Arbeit der Feuerwehreinsatzkräfte vor Ort, gilt es auch einen tieferen Blick auf die psychischen Belastungen der Einsatzkräfte zu werfen. Zumal es der dritte tödliche Unfall im nahen Umkreis war und dies unter Umständen nicht an allen Helferinnen und Helfern spurlos vorübergeht.

Wir haben uns aus diesem Grund mit Bastian Beck, Leiter für den Bereich PSNV-E unserer Feuerwehren, getroffen. Er leitet das PSNV-E Team der Feuerwehren im Landkreis Dillingen/Donau und beantwortet uns Fragen, die einen als Einsatzkraft oder Außenstehenden in diesem Zusammenhang beschäftigen.

 

Wie werdet ihr zu den Einsätzen alarmiert und wann kommt ihr?

Bei bestimmten Einsatzstichworten werden wir primär von der ILS, der Integrierten Leitstelle in Augsburg alarmiert. Dann prüfen wir für uns, ob ein Einsatz an dieser Stelle gefordert ist. Grundsätzlich halten wir uns so weit wie möglich zurück, weil wir nur dann auftreten möchten, wenn der Einsatzleiter, der Kommandant oder die Führungskraft von der Feuerwehr kommt und sagt: “Wir benötigen an dieser Stelle Unterstützung!”

 

“Wichtig zu wissen, dass PSNV-E für euch da ist.”

 

Also auf Anforderung, so kenne ich das aus Sicht der Feuerwehr und so wird es beispielsweise in Lehrgängen vermittelt. Es gibt euch und dass man sich nicht scheuen solle, eure Einheit hinzuzurufen. Einfach ein gutes Gefühl, zu wissen – da gibt es Hilfe. Insgeheim hofft man wahrscheinlich, man braucht es nicht oder man erlebt gar nicht erst etwas Schlimmes.

Ja, das stimmt und genau für diesen Fall sind wir da. Sobald wir angefordert werden, stehen wir bereit. Dies kann aus den unterschiedlichsten Gründen sein. Als Beispiel: Es kommt zu einem Einsatz und eine Vielzahl an Einsatzkräften rücken aus. Jeder hat zuvor etwas anderes gemacht. Der eine war in der Arbeit, der andere zu Hause und wieder einer kam vom Einkaufen. Die eine Einsatzkraft ist entspannt, der andere war bei einem wichtigen Termin und musste schauen, dass er loskommt. Jede Einsatzkraft hat eine andere Aufgabe und nimmt etwas anderes wahr. Dann kann es dazu kommen, dass im Nachgang eine Vielzahl von Fragen offen sind und diese Fragen möchten beantwortet werden. Oftmals kann dies im Rahmen einer Einsatznachbesprechung in der Feuerwehr erfolgen, doch manchmal benötigt es mehr. Dann sind wir als PSNV-E Nachsorgeteam gefordert und helfen, die offenen Fragen zu dem Ereignis zu beantworten und führen eine strukturierte Einsatznachbesprechung durch. Dann kann man gut erkennen, ob mehr gefordert ist.

 

Manchmal ist das Fass des Einzelnen ganz schön voll, so dass es zum Überlaufen kommt?!

Richtig. Denn man kann eben nicht sagen, dieser oder jener Einsatz löst etwas aus. Und das ist die Schwierigkeit, die wir haben. Natürlich gibt es Einsätze, die potenziell eher in die Richtung “Belastung” gehen. Aber das bedeutet nicht, dass es immer so ist. Es kann sein, mitten im Dorf ist ein großer Verkehrsunfall. Jemand aus der eigenen Feuerwehr ist betroffen und die Feuerwehr kommt trotzdem gut mit der Situation klar. Dies hat mit der eigenen Vulnerabilität, der eigenen Verletzbarkeit der einzelnen Einsatzkräfte zu tun.

 

Also ihr seid im Prinzip drauf angewiesen, dass ihr angefordert werdet?!

Ja. Und das ist unser Hauptthema, dass Führungskräfte wissen, da gibt es jemanden und sie können den Schritt gehen und Unterstützung anfordern! In manchen Fällen reicht ein persönliches Telefonat. Manchmal ist ein Gespräch mit einer Einsatzkraft gefordert und manchmal führen wir eine Nachbesprechung mit den Einsatzkräften durch. Diese Nachbesprechung kann direkt im Anschluss an den Einsatz sein. Oftmals ist es allerdings im Nachgang. Hier ziehen erst ein paar Tage ins Land und wir vereinbaren dann einen Termin für die Nachbesprechung.

 

Ein Einsatz kommt ja per se unerwartet. Das ist schon mal das Erste und dann noch die Frage, was für ein Einsatz es ist?

Richtig, und das ist die Herausforderung für jede Einsatzkraft. Kann ich zum Einsatz gehen – ja oder nein. Denn unsere Tätigkeit ist eine ehrenamtliche und dann ist es um so wichtiger, dass jede Einsatzkraft “gut” aus dem Einsatz zurückkommt. Es ist ein großer Unterschied zu den Einsatzkräften die hauptamtlich ihre Tätigkeit ausführen. Hier ist klar, wann meine Schicht beginnt und wann meine Schicht wieder endet. In dieser Zeit bin ich verantwortlich und habe die Einsatzaufgaben abzuarbeiten. Im ehrenamtlichen Bereich sieht die Welt anders aus. In diesem Bereich kommt die Tätigkeit der Feuerwehr zu meinen täglichen Aufgaben on-top noch dazu. Dies gilt es zu berücksichtigen und wichtig ist dabei, sich selbst im Blick zu haben. Damit das Fass, wie du es angesprochen hast, nicht überläuft.

 

“Es ist wichtig, dass ein Einsatz mental abgelegt werden kann.”

 

Zu dem Einsatz in Bissingen – wie lief es da für euch ab, was war eure Aufgabe und wie wurdet ihr alarmiert?

Der Einsatz in Bissingen ist für Einsatzkräfte oftmals frustrierend. Dies liegt daran, dass man auf der Fahrt zum Einsatz immer davon ausgeht, dass man “helfen” kann. Genau dies, war bei diesem Einsatz wieder für die Einsatzkräfte aus Bissingen und Umgebung nicht möglich. Die Einsatzkräfte haben den Einsatz hochprofessionell abgearbeitet und jede Einsatzkraft hat ihr eigenes Päckchen mit diesem Einsatz zu tragen. Die eine Einsatzkraft kannte den tödlich Verunfallten aus Bissingen persönlich und der andere kannte ihn nur flüchtig oder gar nicht. Unsere Aufgabe stellte sich im Rahmen einer Einsatznachbesprechung mit den Einsatzkräften, die an dem Einsatz eingesetzt waren. Zu dieser Einsatznachbesprechung forderte der Kommandant unsere Unterstützung an. Diese Nachbesprechung fand einige Tage danach statt. Während dieser Aufarbeitung, in der es klare Aufgaben und Regeln gibt, hat jeder Beteiligte die Möglichkeit seine Eindrücke und das Erlebte ausführlich im geschützten Rahmen zu erzählen. Im Rahmen dieses Gespräches werden sowohl inhaltliche als auch persönliche Erlebnisse angesprochen. Dies ist wichtig, dass der Einsatz gut verarbeitet und mental abgelegt werden kann. Zusätzlich hat jeder noch die Möglichkeit auf ein persönliches Gespräch mit dem Nachsorgeteam zurückzugreifen. Diese Nachbesprechung ist natürlich ein freiwilliges Angebot und soll jedem helfen, das Erlebte bestmöglich zu verarbeiten.

 

War es dann akut ein Thema, dass der Unfall nun bereits der Dritte war? Nicht an der gleichen Stelle aber zumindest in der Gegend und für die Feuerwehr Bissingen?!

Ja und nein. Erstens gab es eine zeitliche Verzögerung der verschiedenen Einsätze und nicht jede Einsatzkraft war bei den Einsätzen mit dabei. Und dennoch ist so etwas immer Thema. Nach dem Motto, die Straße müsse begrenzt werden, sie müsse begradigt werden oder verlangsamt werden. Das sind normale Gedanken, die einem hier in den Sinn kommen. Dies kocht dann gerne hoch, wenn es einen “Beteiligten” aus dem Dorf gibt. Solche Gespräche sind an dieser Stelle natürlich wichtig und dürfen auch geführt werden. Auch wenn unser Fokus hier ein anderer ist. Uns ist es wichtig, dass die Einsatzkräfte, bestmöglich mit dem Einsatz umgehen können. Dafür ist zum Beispiel eine funktionierende Kameradschaft in der Truppe notwendig. Dies ist in Bissingen vorhanden und auch die Leitung macht einen sehr guten ehrenamtlichen Job.

 

Dann sind wir uns einig, dass Einzelkämpfer sich schwerer tun, und somit ist der Kameradschaftsaspekt wichtig. Wie sieht es da in den Feuerwehren aus?

Persönlich finde ich es sehr wichtig, dass es in einer Feuerwehr eine funktionierende Kameradschaft gibt. Denn hier kennt man seine Mitglieder. Wenn hier mal jemand aus dem “Rahmen fällt”, dann fällt das auf und es kann reagiert werden. Oftmals entstehen gerade in Feuerwehren auch persönliche Freundschaften und das ist ein sehr wichtiger Bestandteil.

Stimmt, das geht häufig über die Feuerwehr hinaus. Feuerwehrkameradschaft, Feuerwehrfreundschaft und Freundschaft außerhalb – das lässt sich auch gar nicht trennen.

Es ist auch das Schöne: Wir gehen zusammen zur Feuerwehr und sind zudem vielleicht noch im Obst- und Gartenbauverein oder wir fahren gemeinsam Fahrrad. Solche Dinge ergeben sich und sind ein wichtiger Bestandteil im Miteinander.

 

Schauen wir nochmal auf die Organisation der Psycho-Sozialen-Notfall-Versorgung (PSNV) und ihre Aufgabenbereiche. Wie teilt sich das auf?

Der Landkreis Dillingen hat zwei Bereiche, die sich mit dem Thema PSNV beschäftigen: Der Bereich PSNV-E und PSNV-B. Zum Ersten - die Einsatznachsorge für die Feuerwehr, das Rote Kreuz, der Wasserwacht usw. – jede Gruppe organisiert sich hierbei selbst. Als Zweites gibt es den Bereich PSNV-B, also psychosoziale Notfallversorgung für Betroffene. Und die organisiert sich bei uns durch die Notfallseelsorge, durch das Bayerische Rote Kreuz (BRK) und durch den Arbeiter Samariter Bund (ASB). Diese Helferinnen und Helfer gehen dann in den Einsatz, wenn beispielsweise eine Reanimation erfolglos war und der Ehepartner Nachbetreuung benötigt. Oder ein Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang und die Todesnachricht muss an die Familie überbracht werden.

Unsere Aufgabe im Bereich PSNV-E bezieht sich auf die Vorsorge bzw. die Ausbildung der Einsatzkräfte, auf die Primärbetreuung während eines Einsatzes und die Einsatznachbesprechung nach herausfordernden Einsätzen. Es ist wichtig, dass jede Hilfsorganisation einen eigenen Pool an Helfer zur Verfügung hat. Denn es hilft, wenn alle die gleiche Einsatzsprache sprechen. Deshalb freuen wir uns, immer wieder neue Mitglieder im Bereich PSNV-E der Feuerwehr begrüßen zu dürfen. :)

Man fühlt sich als Feuerwehrfrau oder –mann sicherlich “verstandener”, wenn man sich mit jemandem unterhält, der auch aus der Feuerwehrfamilie kommt. Beide verstehen sich damit schließlich besser, es ist die eigene Peer Group.

Das vereinfacht den Gesprächsverlauf und es ist deutlich besser, wenn wir miteinander reden und ich weiß, wovon der andere spricht. Das ist auch der Hintergrund, warum wir Peers in den Feuerwehren benötigen. Denn wir sprechen die gleiche Sprache!

Das ist auch der Punkt, den ich nochmals herausarbeiten möchte. Dass ihr aus dem PSNV-E “unsere Leute” seid.

Das stimmt und trotzdem werden die Bereiche PSNV-B und PSNV-E häufig bei den Feuerwehreinsatzkräften zusammengewürfelt. Das merke ich immer wieder bei meinen Vortragsabenden. Oftmals kommt dann die Aussage: "Da kommt dann doch einer von der Notfallseelsorge”. Nein! Der kommt nicht zu Einsatzkräften. Derjenige ist ausschließlich für Betroffene im Einsatz, nicht für Einsatzkräfte. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

 

Verstanden :-). Wie sich die Gruppen für das große Thema Menschen psychologisch aufzufangen oder zu betreuen aufteilen, hast du vorhin gut dargelegt. Da sind die Zuständigkeiten geklärt. Beim Zugunglück in Steinheim im August 2025, man kann ja glücklicherweise von Zugunfall sprechen, lag der Fokus auf der Betreuung der Passagiere des Zuges. Wobei du beides machst (PSNV-E und Notfallseelsorge)?!

Genau, ich bin sowohl in den Bereichen Notfallseelsorge und PSNV-E für die Feuerwehren aktiv. Und es ist für mich auch klar, wenn ich zum Einsatz rausfahre, für welche Gruppierung ich dann im Einsatz bin! Gehe ich für den Bereich PSNV-B (Betroffene), was zum Beispiel beim Zugunglück der Fall war, dann ist das mein Bereich.

Und selbstverständlich kann ich es nicht ablegen, eine Feuerwehr, bzw. Einsatzkräfte etwas anders anzusehen. Das steckt ein Stück weit in mir drinnen. Man geht mit der Sache anders um und weiß dann gegebenenfalls, dass noch jemand aus dem Team benötigt wird und die Einsatzkräfte unterstützt.

Der Zugunfall ist glücklicherweise auch für uns aus dem Bereich PSNV-B gut ausgegangen. Es war für die Betroffenen eine Schrecksituation. Einige kamen ins Krankenhaus, wobei alle leicht oder mittelschwer verletzt waren. Wir von der Notfallseelsorge und Krisenintervention schauen auf diese Menschen, die aus so einem Zug herauskommen. Wie ticken die, erscheint einem eine Person mehr oder weniger normal oder wirkt jemand ganz apathisch, extrem angespannt oder hat vielleicht Angst? Das gilt es herauszufinden und die Leute anzusprechen – für die Menschen da zu sein. Hier ist es wichtig auf kleine Facetten zu achten. Das kann zum Beispiel sein, jemand wirkt unheimlich konzentriert und es stellt sich heraus, dass er einen Termin hat und momentan nur nicht weiß, wie die Reise weitergeht. Mit jemand anderem kommt man vielleicht gar nicht mehr in Kontakt, der ist kaum ansprechbar. Dann ist klar, hier braucht ein Betroffener mehr Unterstützung.

 

Gehen wir noch einmal zurück zur PSNV-E. Wie viele Leute seid ihr, wie groß ist euer Pool, aus dem ihr personell schöpfen könnt?

Momentan sind wir zehn Leute bei uns im Landkreis, inklusive mir. Ich würde mir natürlich wünschen, wie ich es bereits erwähnt habe, dass unsere Gruppe noch ein bisschen größer wird. Darum war es mir auch ein Anliegen, das Thema im KFV den Feuerwehrleuten nahe zu bringen. Denn es kommt vor, dass jemand sich aus dem Kreis der Hilfsorganisationen verabschiedet – darum brauchen wir immer wieder Nachwuchs!

Allerdings ist es mir an dieser Stelle wichtig zu kommunizieren, dass der Bereich PSNV-E von der klassischen Feuerwehr-Einsatztätigkeit wegfällt. Es ist im Allgemeinen wichtig, dass es uns gelingt diesen Personal-Pool zu vergrößern und immer wieder neue Leute für unseren Einsatzbereich begeistern können.

 

“Auch bei der PSNV-E sind neue Leute willkommen!”

 

Einerseits ein typisches Nachwuchsproblem. Auf der anderen Seite ist es vielleicht auch keine Aufgabe für jede oder jeden? Man muss sich jedenfalls bewusst sein, worum es geht, um nicht wegen falscher Erwartungen enttäuscht zu werden. Aber darum bist du in den Feuerwehren unterwegs, auf Tour und erzählst von deiner, von eurer Arbeit!

Es ist wichtig, dass man die Zuhörer inspiriert, darüber nachzudenken, was denn das Thema der PSNV-E ist. Meiner Erfahrung nach sind es dann oftmals Menschen aus der Feuerwehr, von denen man gar nicht gedacht hätte, dass er oder sie das nun macht. Es hat mit der reinen Feuerwehrtätigkeit wenig zu tun und wir gehen in eine ganz andere Richtung. Weil der Feuerwehrmann an sich, ist eigentlich der Macher. Wenn irgendetwas ist, wird hingelangt. Hier schaufeln, dort Auto aufschneiden. Da sind sie dabei.

Im Bereich PSNV ist es eher andersrum. Da lässt man den Anderen tun und wartet mal.  Horcht vielmehr hinein in das Ganze. Das ist nicht jedermanns Sache, völlig klar. Wir Menschen sind unterschiedlich. UND wir haben solche Mitglieder mit großen Fähigkeiten in den Feuerwehren und die wollen wir ermutigen, im Bereich PSNV-E mitzumachen!

Einfach anrufen – nachfragen und alle Infos bekommen! -> Dann los! :)

Kontakt: Bastian Beck, psnv@kfv-dillingen.de, Tel: 0176-62976780